Ein von uns erstrittenes Urteil des LG München I vom 17.06.2022, Az.: 4 O 3834/19, sorgt für Furore: Es geht um ein mangelhaftes Model X, die zu erwartende Lebenslaufleistung von Tesla-Fahrzeugen, vollmundige Aussagen des Technokings of Tesla, den Dementi seiner eigenen Anwälte und – als Krönung – schwarz auf weiß in der Urteilsbegründung, dass Tesla Germany nicht für großspurige Aussagen von Elon Musk bestraft werden soll. Nachfolgend eine kurze Einordung unsererseits und das Urteil zum Download im Volltext.

Im Frühjahr 2017 erwarb unsere Mandantin bei Tesla ein brandneues Model X zu einem Preis von über 100.000 €. Zahlreiche Mängel plagten das Fahrzeug, die – noch dazu in dieser Preisklasse – schlicht nicht hinnehmbar sind, aber in unserer Fallarbeit leider zu einem gewohnten Bild gehören. Ebenfalls gewohnt sind wir die immer gleichen, wenig professionellen Reaktionen von Tesla: Behauptete Mängel und Fehlfunktionen würden schon gar nicht vorliegen, und wenn doch, dann müsse die Ursache in einem Bedienungsfehler der Kundin liegen.

Autopilot ist „erhebliche Gefährdung“ für Fahrer und andere Verkehrsteilnehmer

Erst ein Urteil des Landgericht München I konnte hier Klarheit schaffen. Das Gericht kam – u.a. mithilfe eines ausführlichen Gutachtachtens eines gerichtlich bestellten KfZ-Sachverständigen – zu einem eindeutigen Ergebnis: Das das Model X unserer Mandantin sei aus mehreren Gründen erheblich mangelhaft. Das Zentraldisplay (MCU) falle teils für mehrere Minuten am Stück komplett aus, sodass praktisch keine Fahrzeugfunktionen mehr bedient werden könnten. Dies könne, so das Gericht, „zu sicherheitsrelevanten Situationen führen“, wenn z.B. die Scheiben beschlagen, weil der Fahrer die Lüftung nicht mehr regeln kann.

Ein weiteres Problem an dem Model X waren falsch justierte Flügeltüren, die in ihrer Bewegung den Fahrzeuglack verkratzten. Das Gericht bestätigte den Mangel und merkte an, wenn Tesla keine funktionierenden Flügeltüren konstruieren könne, dann müsste das Unternehmen „wieder auf herkömmliche Türen zurückgreifen“. Schließlich beanstandete das Gericht als weiteren gravierenden Fehler den verbauten „Autopilot“. Dieser sei, wenn durchgängig aktiviert „eine erhebliche Gefährdung insbesondere im innerstädtischen Verkehr für den Fahrer und den nachfolgenden Verkehr“.

Wie lange hält ein Tesla?

Vor Gericht stellte sich noch eine weitere, mindestens so interessante Frage: Wie lange hält eigentlich ein Tesla? Das ist wichtig, wenn ein Käufer sein Fahrzeug aufgrund von Mängeln zurückgeben möchte. Denn in diesem Fall wird eine Entschädigung für die gefahrenen Kilometer von dem Kaufpreis abgezogen, den der Käufer zurückerhält. Im Ergebnis muss ein Käufer also für die gefahrenen Kilometer „bezahlen“. Der Betrag berechnet sich nach der zu erwartenden Lebenslaufleistung des Fahrzeugs. Je höher die zu erwartende Laufleistung, desto geringer der Nutzungsersatz. Für Verbrenner werden hier typischerweise 250.000 km angesetzt. Wir sind der Ansicht, dass Elektrofahrzeuge deutlich länger halten, weil konzeptbedingt weniger Teile, weniger komplexe Systeme und viel geringere Motorvibrationen auftreten.

Mit dieser Einschätzung sind wir in guter Gesellschaft. Elon Musk selbst ist überzeugt, dass ein Tesla im Laufe seines Lebens viel mehr Kilometer schaffen kann. Wer sollte das besser wissen als der weltbekannte, visionäre und selbsternannte Technoking of Tesla und Tesla CEO? Beispielsweise twitterte er bereits 2019, die Antriebseinheit des Model 3 sei „wie ein Lastwagen“ für eine Lebensdauer von einer Millionen Meilen (1,6 Mio. km) konstruiert. Die Akkus würden jedenfalls bis zu 500.000 Meilen (800.000 km) halten.

Auch in der wirklichen Welt häufen sich die Berichte über Tesla-Fahrzeuge mit astronomischen Tachoständen, von denen Verbrenner-Fahrer nur träumen können. In einem deutschen Tesla-Forum führen die Mitglieder diesbezüglich eine Rangliste: Dort kommen fünf Fahrzeuge über 500.000 km, der Rekordhalter ist mit seinem Model S sogar schon unglaubliche 1,5 Mio. km (!) gefahren.

LG München I: Elon Musks großspurigen Aussagen braucht man nicht glauben

Vor dem Hintergrund dieser konkreten Aussagen zur Lebenslaufleistung war es verwunderlich, dass die Anwälte von Tesla die Haltbarkeit der Fahrzeuge nur wie einen Verbrenner bewerten wollten. Und tatsächlich, ohne ein klägerseits beauftragtes Sachverständigengutachten zur Laufleistung einzuholen, schätzte das LG München I die Laufleistung auf Basis eigener Sachkunde. Dabei war das Gericht anderer Meinung als Elon Musk himself und setzte die zu erwartende Laufleistung für das Model X unserer Mandantin auf 350.000 km fest. Und was ist nun mit den öffentlichen Äußerungen von Elon Musk? Der sei „in der Öffentlichkeit für großmundige Aussagen bekannt“, meinte das Gericht. Die Aussagen seien offensichtlich als Werbemaßnahmen anzusehen, man müsse einpreisen, dass die Werte im Echteinsatz der Fahrzeuge schlechter seien. Ohnehin seien die Äußerungen von Musk keine geeignete Schätzgrundlage, denn es sei nicht Sinn und Zweck eines Zivilprozesses, „die Beklagte für großspurige Aussagen des Vorstandsvorsitzenden zu ‚bestrafen’“.

Das ist für uns der wahre Hammer des Verfahrens: Offensichtlich war das Gericht der Meinung, dass es mit der Glaubwürdigkeit von Elon Musk nicht allzu weit her ist. Dass Musk nur Sprüche klopft war für das Gericht offenbar derart offensichtlich, dass dies auch jedem Tesla-Kunden klar sein muss. Verlassen darf man sich demnach auf die Anpreisungen Musks nicht. Dass man auch anderer Meinung sein kann, hat kürzlich das LG Darmstadt in einem ähnlich gelagerten Fall gezeigt (siehe unten). Dort wurde Musk beim Wort genommen und die Laufleistung des gegenständlichen Fahrzeugs auf 800.000 km geschätzt.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig und wird in der Berufungsinstanz beim OLG München fortgeführt.